It’s a viral world

Wer vergessen hatte, dass Viren das Leben der Menschen auf den Kopf stellen können, der weiss es nun wieder. Aber natürlich gibt es nicht nur Sars-CoV-2. Ich habe mich die letzten Wochen intensiv mit dem Polio-Virus auseinandergesetzt. In der Schweiz und anderen wohlhabenden Ländern ist die Infektionskrankheit seit Jahren fast vergessen. In Ländern wie Indien oder Nigeria hat das Virus aber noch bis vor kurzem Kinder gelähmt.

Eine Gruppe von Organisationen, Rotary und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an der Spitze, kämpfen seit Jahrzehnten für eine Welt ohne Polio. Eigentlich wollten sie das Virus bis ins Jahr 2000 ausrotten – doch das stellte sich als viel komplizierter heraus als gedacht. Und so gibt es noch heute Polio. In einer Episode des SRF-Podcasts Kopf voran erzähle ich die Geschichte dahinter.

Zwei Interviewpartner führen durch die packende Story: Urs Herzog, ein pensionierter Chirurg, der als achtjähriger selbst an Polio erkrankte und heute bei Rotary für eine Welt ohne Polio kämpft. Urs Herzog war mit mir auch noch Live-Gast im Treffpunkt von SRF 1, wo er von seiner Arbeit erzählt hat.
Ohne Hamid Jafari von der WHO wäre der Podcast nicht halb so gut geworden. Er war der Chef des Teams, das 2011 das Polio-Virus in Indien ausgerottet hat – ein Erfolg, den viele Experten für unmöglich hielten. Heute leitet Jafari die Polio-Kampagne in Pakistan und Afghanistan, die einzigen Länder auf der Welt, in denen es noch Polio gibt.

Zwei Kinder, die an Polio erkrankt waren, werden von einer Physiotherapeutin behandelt, USA 1963. Wikimedia

Während der Recherche wurde mir immer klarer, dass auch die Geschichte vor dieser Geschichte unglaublich spannend ist: Polio tauchte im 19. Jahrhundert quasi aus dem Nichts auf, schockte die Metropole New York 1916 mit einem furiosen Ausbruch, bei dem 25’000 Menschen gelähmt wurden und 9’000 starben. Danach verbreitete Polio in vielen Ländern Angst und Schrecken, bis in den 1950ern zwei Impfstoffe entwickelt wurden.

Diese Geschichte erzähle ich in einer zweiten Episode von Kopf voran mit dem britischen Mediziner und Autor Gareth Williams, der eine wunderbare Geschichte über Polio geschrieben hat. Zusammen haben wir festgestellt: obwohl grosse Teile dieser Geschichte viele Jahrzehnte her sind, die Parallelen zum Umgang der Gesellschaft, Politik und Wissenschaft mit dem Polio-Virus damals und mit dem Corona-Virus heute sind fast schon gespenstisch.

Die Kolleginnen und Kollegen von SRF Kultur online haben ein schönes Kurzvideo zur Polio-Geschichte gemacht.

Wael lebt – dank Phagen

In der Phagentherapie ist in den letzten Jahren viel passiert. Es hat eine Reihe von spektakulären Heilungen gegeben, einige davon wurden sorgfältig dokumentiert und veröffentlicht. Die Studie Phagoburn, die von der EU finanziert wurde und in der Brandverletzte mit Infektionen mit Phagencocktails behandelt wurden, ist abgeschlossen – leider nicht sehr erfolgreich. Verschiedene Probleme verhinderten dies, zum Beispiel war der Phagencocktail weniger stabil als gedacht und die Patienten wurden deshalb mit einer tieferen Phagenkonzentration behandelt als geplant.

Die Phagenforscher Jean-Paul Pirnay (1.v.l.) Nino Grdzelishvili (3.v.l.) treffen Wael und seine Eltern zum ersten Mal. Weiter im Bild: Khadidja Rezig (Mutter, 2.v.l.) und Arzt Patrick Soentjens (ganz rechts).
Bild: Sofiane Rezig

Wichtig war auch eine Entwicklung in Belgien: Dort haben Forscher, Ärzte und Behörden einen pragmatischen Ansatz gefunden, wie Patienten mit schweren Infektionen mit Phagentherapie behandelt werden können, auch wenn die Methode noch nicht von der europäischen Zulassungsbehörde EMA zugelassen ist. Im Zentrum des Modells steht das Königin-Astrid-Militärkrankenhaus in Brüssel. Das Team um Jean-Paul-Pirnay stellt dort verschiedene Phagenpräparate in einer Qualität her, die für Behandlungen von Menschen eingesetzt werden können, sogar IV-Behandlungen wurden schon erfolgreich durchgeführt.

Im Sommer 2019 konnte ich das Brüssler Militärkrankenhaus besuchen, Jean-Paul Pirnay und andere Forscher und Forscherinnen und ehemalige Patienten treffen. Darunter den kleinen Wael, dem die Phagenforscher das Leben gerettet haben. Ich habe darüber eine Sendung für Radio SRF produziert. Ebenfalls in der Sendung: ein Gespräch mit der britischen Phagenforscherin Martha Clokie über die ökologische Rolle der Phagen – vom Meer bis zum Menschen.

Blick hinter die Katastrophe

Der Aralsee war einst der viertgrösste See der Welt. Doch davon ist fast nichts übrig geblieben, weil ihm die Landwirtschaft Zentralasiens den Wasserhahn zugedreht hat. Uno-Generalsekretär António Guterrez nannte es «die wohl grösste Umweltkatastrophe, die der Mensch in neuerer Zeit verursacht hat».

Zurückgeblieben ist eine neue Wüste, die Aralkum. Sie ist 50’000 km² gross und an vielen Stellen von Salz bedeckt. Stürme wirbeln es auf und verteilen es weitherum auf den Äckern und Häusern. Das gefährdet die Gesundheit der Menschen und die Fruchtbarkeit der Äcker.

Die Länder der Region haben vor Jahren schon den Fonds zur Rettung des Aralsees gegründet. Doch gerettet wird der See nie mehr. Die Menschen brauchen das Wasser für sich.

In Zukunft wird das Wasser weniger werden: die Bevölkerung nimmt stark zu, und der Klimawandel führt im Sommer zu Knappheit.

Wie weiter? Dieser Frage bin ich im Juni auf einer Recherchereise durch Zentralasien nachgegangen. Ich bin mit einigen Antworten und vielen neuen Fragen zurückgekehrt. Die kann man nun nachlesen und hören:

Der verschwundene Aralsee könnte erst der Anfang sein (Text)

«Blue Peace»: Was kann Schweizer Wasserdiplomatie bewirken? (Text)

Aralsee – eine Umweltkatastrophe mit Fortsetzung (Radiosendung)

Eintauchen in die Arktis

Nun online: Das Feature über die Fahrt der «Helmer Hanssen» und die heroischen Expeditionen von Nansen, De Long, Andrée und anderen:

«In Nacht und Eis»

Tipp: Herunterladen und nicht streamen. Die Tonqualität ist viel besser.

Lichterfest im Polarmeer

 

Bei srf.ch ist jetzt ein längerer Artikel über die Expedition der «Helmer Hanssen» aufgeschaltet. Er erzählt von den wissenschaftlichen Zielen und ersten Resultaten, von leuchtenden Kreaturen und anderen polaren Phänomenen, aber auch vom Alltag an Bord.

Dazu ein Stück über die Arktis-Expeditionen von früher: die Drift der «Fram», die Katastrophe der «USS Jeannette» oder Salomon Andrées tragische Ballonfahrt.

 

Am 29. Dezember gibt’s dann in der Sendereihe Passage 2 auf Radio SRF2 Kultur die Synthese davon: eine Stunde Radio-Feature über die magische Anziehungskraft von «Nacht und Eis».