Mehr vom Polardorsch

Den meisten Polardorschen in den grossen Becken auf dem Deck geht es gut. Sie bekommen über eine Schlauchleitung ständig frisches Meerwasser. Wichtig ist vor allem, dass es schön kalt bleibt, am besten um die Null Grad oder kälter, bei 3-4 Grad ist den Polardorschen schon zu warm.

Fischtank auf Deck. Der fahl-rosa «Blob» in der Mitte ist ein Spitzschwänziger Scheibenbauch. Der englische Name passt optisch besser: Meeres-Kaulquappe.

Obwohl sich Morgan Bender und Julia Gossa hingebungsvoll um die Fische kümmern, die Becken mindestens zweistündlich kontrollieren – sterben trotzdem einzelne Tiere. Doch keines soll vergebens geopfert werden. Die toten Fische werden seziert, um mehr über die Polardorsche zu erfahren.

Morgan Bender seziert einen Polardorsch.

Schon eine grobe Bestandesaufnahme offenbart einen interessanten Lebenswandel. Polardorsche haben riesige Lebern. Bei einem 20 Gramm schweren Fisch kann sie gut und gerne 3-4 Gramm schwer sein. «Die Polardorsche speichern ihr Fett in der Leber», erklärt Bender. Fett ist Energie, und Energie ist wertvoll in der harschen Arktis.

Augenscheinlich steht beim Polardorsch die Leber mit den Geschlechtsorganen im Wettbewerb. Die Sektionen zeigen: Ist ein männlicher Polardorsch in Stimmung, wachsen die Hoden auf Kosten der Leber – und zwar kräftig. Dann bringen die Hoden etwa sieben Gramm auf die Waage und die Leber vielleicht 2-3 Gramm. Die Prioritäten des Polardorschs sind klar.

Im Fischlabor steht noch ein schwarzer Eimer mit einem kleinen Zoo. Es sind ein paar Meeresbewohner, die wie die Polardorsche ins Schleppnetz geraten sind und es überlebt haben. Bender und Gossa umhegen auch sie und hoffen, vor der Rückfahrt eine Gelegenheit zu finden, sie wieder dem Meer zurückzugeben. Mein Favorit ist ein kleiner Octopus:

 

Licht!

Heute morgen habe ich eine Überraschung erlebt, als ich auf das Deck gekommen bin: Dämmerung am westlichen Horizont. Über einem tiefen Wolkenband zartes Hellblau – nach Tagen ziemlich kompletter Dunkelheit. Ein schöner Anblick. Die Sonne bleibt zwar unter dem Horizont, sendet ihr Licht aber via Streuung an den Gasteilchen der Atmosphäre auf unsere Seite des Globus. Es reicht sogar, um einige Eissturmvögel festzuhalten, die wir seit Tagen sehen. Na ja, mindestens verschwommen sind sie zu sehen.

Seit unserer nördlichsten Position auf etwa 80 Grad 20 Minuten Nord sind wir wieder nach Süden gefahren, momentane Position etwa 77 Grad 50 Minuten Nord. Dazu keine Wolken hoch im Himmel, darum das Licht.

Die verschiedenen Stufen der Polarnacht sind in einem früheren Beitrag beschrieben.

Auch Pilze und Bakterien mögen die Arktis

Bisher war von Fischen die Rede, von Krebschen, von Plankton. Aber auch Pilze, Bakterien und Viren haben ihre Fans auf der «Helmer Hanssen». Das ist verdient, vermutlich leben mehr Arten von ihnen hier im hohen Norden als von den anderen Organismen, betonen ihre Liebhaber an Bord und fügen hinzu: Aber natürlich sind sie krass untererforscht.

Wie sammelt man die Mikroben und Viren? Brandon Hassett hat dafür eine Falle auf dem Vorderdeck aufgestellt. Eine Windfahne sorgt dafür, dass ihr Einlass im Wind bleibt und fleissig sammelt, was dahergeflogen kommt. Ein Filter fängt die Luftreisenden auf. Hassett ist vor allem an Pilzen interessiert.

Brandon Hassett und die Mikrobenfalle auf dem Vordeck.

Als die See etwas schwerer geworden ist, sprühte Gischt bis aufs Deck. Der Kapitän hat es von der Brücke aus gesehen und Hassett gewarnt, so dass er sie in Sicherheit bringen konnte. Normalerweise ist die Falle übrigens im warmen Texas im Einsatz. Sie erlebt also gerade eine Luftveränderung.

Hassett fahndet auch im Meerwasser, das regelmässig aus verschiedenen Tiefen heraufgeholt wird, nach Pilzen und Bakterien – und in den toten Tieren, die ihm die Mitforscherinnen und Mitforscher an Bord überlassen. In der letzten Nacht, zum Beispiel, hat er einen Seestern seziert, um an die Mikroben im Magen zu kommen.

Im Labor in Tromsø wird Hassett von den Filtern und den anderen Proben das Erbgut einsammeln, entschlüsseln und mit bekannten Erbgutsequenzen vergleichen. So bekommt er eine Ahnung, wen er da von 80 Grad N mitgebracht hat. Unbekannte Sequenzen sind ein Hinweis darauf, dass Hassett eine bisher unbekannte Spezies ins Netz gegangen ist.

Von der Ordnung der Natur über das Chaos zur Ordnung des Menschen

Forschung könnte man als den Versuch des Menschen definieren, die Ordnung der Natur zu ergründen. Das klingt sinnvoll und irgendwie sauber. Die Realität auf einem Forschungsschiff sieht ein bisschen anders aus: der Begriff «Versuch» in der Definition trifft es besser als der Begriff «Ordnung».

Nehmen wir als Beispiel den Meeresboden. Einige Forscher an Bord würden gerne wissen, wer da lebt und wie die Tiefengemeinschaft ihre WG organisiert. Um diese Fragen beantworten zu können, muss man die Tiefseewesen an die Oberfläche bringen. Das, habe ich in den letzten Tagen gelernt, geht mit verschiedenen Methoden. Sie alle haben zwei Dinge gemeinsam: sie erfüllen ihre Aufgabe, und sie tun dies alle mehr oder minder brachial.

«Box Core».

Am schonendsten ist wohl die «Box-Core-Methode»: Die Forscherinnen und Forscher lassen an einem Seil ein Gestell in die Tiefe hinab, in dem eine Metallkiste steckt. Unten angekommen, zum Beispiel auf minus 150 Meter, wird die unten offene Box in den Schlick abgesenkt, der Boden geschlossen und die Fracht nach oben gebracht. Zum Ersten bleibt dabei die kleine Welt der Meeresbodenbewohner recht heil. Auf der intakten Schlammoberfläche ist sogar ein Seestern zu sehen.

Schlämmen und Filtern.

Aber dann greift die forschende Hand des Menschen ein: Die ganze Schlammmasse wird mit viel Wasser versetzt und gesiebt. Im Sieb bleiben die Tiere der Tiefe zurück, aber ihre WG ist brachial aufgelöst. Dieser Schritt geschieht bei der «Van Veen»-Methode schon gleich bei der Ernte am Meeresboden: Eine Baggerschaufel am Seil beisst sich ein Stück Meeresboden heraus.

Am meisten Meeresbodenwesen bringt die dritte Methode in die Polarnacht hoch – der «Beam Trawl». Ein Metallrahmen samt Netz wird für 5 Minuten über den Meeresboden geschleppt. Was dabei passiert, kann man sich vorstellen.

Raphaelle Descoteaux nutzt diese Methoden. Sie untersucht unter anderem, ob sich wegen der Klimaerwärmung bereits Arten aus wärmeren Regionen in der Arktis festgesetzt haben. Die Sorge: die Eindringlinge könnten die heimischen Arten verdrängen. Descoteaux ist sich der Zerstörung bewusst, die sie anrichtet. Sie bedauert das, aber ohne die Eingriffe keine Erkenntnis. Sie versucht, den Schaden möglichst zu reduzieren: «Wir halten den Trawl so kurz wie möglich», sagt sie.

Sortieren.

Das Chaos, das die Bergungsmethoden angerichtet haben, in die menschliche Ordnung zu überführen, ist harte Arbeit. Descoteaux und Eric Jordà Molina bergen Tausende von Wesen aus dem Schlamm, sortieren sie und bestimmen sie. In Zweifelsfällen muss ein Tier unters Mikroskop. Die beiden finden Seesterne, Muscheln, Krebschen, Spinnenartige, Würmer aller Art und vieles mehr.

Bestimmung unter dem Mikroskop.
Ordnung.

Verzeihung für die z.T. pixeligen Bilder. Die verfügbare Bandbreite lässt keine bessere Qualität zu.

 

Den «Fish Girls» gelingt der grosse Fang

Im letzten Eintrag war die Rede vom Polardorsch, den die zwei Forscherinnen Morgan Bender und Julia Gossa fangen wollen, um ihn im Labor zu untersuchen. Beim Halt gestern war den beiden «Fish Girls», wie sie auch genannt werden, kein Glück beschieden. Eine genaue Durchsicht der gefangenen Fische zeigte: kein einziger Polardorsch dabei.

Um Mitternacht sind wir beim nächsten Ort angekommen, an dem die Wissenschaftler ihre Untersuchungen machen. 24 Stunden bleibt das Schiff mehr oder weniger am selben Ort, und die Crew sammelt eine Vielzahl von Proben: mit Schleppnetzen, mit einer Art Baggerschaufel, die Schlamm vom Grund auf 150 Meter Tiefe heraufholt oder einer Konstruktion aus einem Seil und Röhren, die im Abstand von 50-60 Meter daran gehängt werden. Diese «Sediment Trap» fängt feinste Schwebeteilchen auf, die im Wasser nach unten sinken – Nahrung für das Kellergeschoss des Ozeans.

«Die Fish Girls» und ein Helfer sortieren den Fang.

Und diesmal waren Morgan Bender und Julia Gossa erfolgreich. In ihrem Schleppnetz waren fast nur Polardorsche – und das in einem guten Zustand, so dass die Forscherinnen sie gesund und munter nach Tromsø ins Labor bringen können. Der vermutliche Grund für den Polardorsch-Reichtum an diesem Ort: das Wasser ist mit ca. minus ein Grad deutlich kälter als am letzten Fangort. Und dies gefällt dem Polardorsch, diesem harten Kerl.

À propos harte Kerle – das sind nicht nur die arktischen Tiere, auch die Forscherinnen und Forscher sind hart im Nehmen. Expeditionen mit einem Forschungsschiff sind teuer, die Plätze sehr rar. Darum wird die Tour so kurz wie möglich geplant. Sobald das Schiff an einem Messort ankommt, jagt ein Experiment das nächste. Gearbeitet wird in höchst unregelmässiger Schicht, praktisch rund um die Uhr. Keine Forscherin, kein Forscher hat seit dem Start der Expedition vor 60 Stunden mehr als 5-6 Stunden geschlafen, manche nur 3-4, insgesamt. Seit gestern hat auch der Wind aufgefrischt, und so sind einige nicht nur sehr müde, sondern auch noch seekrank. Eine unangenehme Kombination.

Und noch sind 8 Tage zu bewältigen.

Harte Kerle

Sporadisch haben wir Internet, aber grosse Datenpakete zu senden geht nicht, nur kleines flutscht durch. Darum ein Update im Telegrammstil. Seit der ersten grossen Messaktion im Billefjord haben die Forscher bereits zweie weitere Male Messungen gemacht. Dann stoppt das Schiff, die Crew versucht, die Position zu halten. Der zweite Halt war bei 80° 20’ N, an einem Punkt, an dem der Golfstrom noch immer spürbar ist: Vier Grad warm ist das Wasser, von der Oberfläche bis zum Grund auf 150 Meter Tiefe.

Im Schneetreiben um 3 Uhr 30 morgens hat die Crew zum ersten Mal ein Schleppnetz zu Wasser gelassen. Am Ende des Netzes ist eine Box befestigt, die möglichst schonend den Polardorsch fangen soll. An dieser Art sind einige Forscherinnen auf dem Schiff besonders interessiert. Der Polardorsch ist ein wichtiger Fisch in der Nahrungskette der Arktis. Aber da, wo immer mehr wärmeres Wasser vom Süden her eindringt, wird er von Einwanderern verdrängt. Zum Beispiel dem viel grösseren atlantischen Dorsch.

Die Forscherinnen und Forscher sortieren und bestimmen den Fang aus dem Schleppnetz

Das Schleppnetz brachte eine ansehnliche Fracht nach oben. Viel atlantischen Dorsch, Schollen, Quallen, Seesterne und manches andere mehr. Aber keinen Polardorsch, dem scheinen die 4 Grad hier zu warm zu sein. Was für ein Fisch. Dieser harte Kerl pflanzt sich vom November bis Januar fort. Seine Eier steigen im Wasser auf und reifen unter dem Meereis. Die Forscher vermuten, der Polardorsch macht das so, weil es im Polarwinter weniger Fressfeinde hat – viele von denen ziehen im Winter nach Süden.

Die Forscherinnen auf dem Schiff wollen den Polardorsch fangen, um zu testen, wie schädlich eine Ölpest für ihn wäre. Experimente haben gezeigt, dass er sehr anfällig dafür sein könnte. Eine schlechte Nachricht, weil vor allem Norwegen dabei ist, immer weiter nördlich nach Öl zu suchen und zu bohren. Die Experimente machen die Forscher im Labor in Tromsø. Sie setzen die gefangenen Exemplare in grosse Tanks, die auf dem Deck des Schiffes stehen und bringen sie so heil ins Labor.

Zuerst aber müssen sie welche erwischen.

Zuerst trainieren wir für unsere Sicherheit, dann fangen wir lichtscheues Plankton

Noch am Abend der Abfahrt gibt es ein Sicherheitsbriefing. Was tun bei Feueralarm? Wie zieht man den Survivalanzug richtig an?

Nicht lachen, das ist gar nicht so einfach. Wie das wäre, bei Wind, Dunkelheit und vielleicht 1-grädigem Wasser, das stelle ich mir besser nicht vor.

Nils, der 2. Offizier, erkläre das richtige Verhalten: Füsse voran in die dunkle Leere springen. Mit den Händen hält man die Kapuze fest, damit beim Eintauchen kein Wasser ins Innere des Anzugs dringt. Alle versuchen, zusammenzubleiben, resp. zueinander zu finden. Hat man den Kontakt hergestellt mit einem Schicksalsgenossen, verbindet man sich mit einer Leine. So soll sich eine lange Kette aus Schiffbrüchigen bilden, die von einem Suchtrupp im Helikopter oder Schiff besser zu sehen ist.

Um etwa 23 Uhr kommt das Schiff an der ersten Station im Billefjord an. Die Forscherinnen und Forscher lassen ihre ausgeklügelten sehr feinmaschigen Netze zu Wasser, die sich in verschiedenen Tiefen öffnen und schliessen. So können sie das Plankton in den verschiedenen Wasserschichten fangen. Rolf Gradinger erklärt es so: «Das Meer ist wie ein Hochhaus, in dessen Etagen unterschiedliche Mieter wohnen. Und wir wollen wissen, wer in der Polarnacht welche Etage mietet.» Im Sommer ist die Wohngemeinschaft besser bekannt.

Weil viele Planktonwesen selbst schwaches Licht scheuen, werden beim Auswurf der Netze die Lichter gelöscht, nur Stirnlampen mit Rotlicht erleuchten die kalte Nacht auf dem Hinterdeck. Als die Netze wieder hochkommen, sind darin blau-leuchtende Punkte zu sehen. Das sind kleine Krebschen, die sich im Dunkeln selbst etwas Licht produzieren. Biolumineszenz nennt die Wissenschaft das.

Nach den Netzen lassen die Forscher ein Gestell mit Flaschen in die 150-Meter-Wassertiefe absinken. In verschiedenen Tiefen nehmen die Flaschen Wasserproben auf, Sensoren messen die Temperatur, den Salzgehalt und die Dichte. Auf einem Monitor können die Forscher live verfolgen, wie das Wasser zuerst immer wärmer wird, bei -30 Meter etwa drei Grad, danach wird es immer kälter: In 150 Meter Tiefe ist es etwa -1.5°C.  Wegen des gelösten Salzes gefriert es nicht.

Manche der Forscher schuften die Nacht durch, kommen um 6 Uhr ins Bett. Um 7 Uhr 30 gibt es Frühstück, um 8 Uhr 30 ist eine Besprechung angesetzt.

An Bord

Am späten Morgen haben sich die Forscher getroffen, um die ersten 24 Stunden der Fahrt zu besprechen. Denn es muss alles wie am Schnürchen gehen: schon zwei Stunden nach dem Auslaufen machen wir halt im Billefjord, um die ersten Proben  zu nehmen.

Rolf Gradinger zeigt auf der Karte des Spitzbergen-Archipels die Route der «Helmer Hanssen» in den kommenden 12 Tagen.

Um 14 Uhr 30 schliesslich sehe ich die «Helmer Hanssen» zum ersten Mal mit eigenen Augen:

Wir bringen unser Gepäck an Bord, entladen 28 Paletten Forschungsmaterial und verstauen es in den verschiedenen Labors:


Und vor dem Auslaufen noch ein Blick auf die Brücke:

Um 20 Uhr 30 gibt es eine Einführung in die Sicherheit an Bord. Zwei ganz wichtige Punkte haben wir aber schon gelernt:

1. Aussen auf Deck: immer mit Helm.
2. Im Innern: Arbeitsschuhe aus! Hausschuhe an!

Es könnte während der Fahrt einige Sendepausen geben im Blog: das Internetsignal dürfte auf der Fahrt oft ausfallen, dann gibt es kein Update.

«Forschungsfahrten im Winter sind schwierig und ungewöhnlich»

In wenigen Stunden geht die Fahrt los. Die Forscher haben sich im University Center von Spitzbergen (UNIS) versammelt, um die ersten 24 Stunden der Fahrt genauer zu besprechen. Alle wollen ihre Proben nehmen, die Zeit auf der Fahrt ist knapp, darum muss geplant werden.

Der wissenschaftliche Leiter der Fahrt, Rolf Gradinger, hat mir kurz die Ziele der Fahrt erklärt:

Warum ist es wichtig, mehr über das Leben während der Polarnacht herauszufinden?

Die Fahrt wird bis über 80° N gehen – werden wir auf Meereis stossen?

Ist es normal, dass es um diese Jahreszeit hier kaum Meereis gibt?

Erwarten Sie, dass Sie und Ihre Kollegen auf dieser Fahrt Veränderungen bei den kleinen Lebewesen im Meer feststellen können?

Die Mikroorganismen, die Rolf Gradinger erwähnt hat:

• Phytoplankton: Kleinstlebewesen, die im Meer treiben, und aus Sonnenlicht Energie gewinnen können. Algen gehören dazu, aber auch manche Bakterien oder Einzeller. Sie alle bilden die Basis der Nahrungskette im Meer. Ohne sie keine Dorsche, keine Haie, keine Wale.

• Zooplankton: Kleinlebewesen, die zum Teil rudern können, die aber hauptsächlich mit der Strömung treiben. Dazu gehören kleine Krebschen (zum Beispiel Krill), manche Wurmarten, Einzeller. Zooplankton kann das Sonnenlicht nicht zur Energiegewinnung nutzen, es lebt also davon, andere zu fressen.

(Wikipedia: πλαγκτόν «das Umherirrende»)

Schon William Scoresby (1789 – 1857) wusste, wie Meereis entsteht

So, heute bin ich auf Spitzbergen angekommen, um 14 Uhr ist das Flugzeug aus Tromsø kommend in Longyearbyen gelandet. Besonders kalt ist es nicht, um die 0°C – aber tatsächlich: dunkel. Um 15:07 sah es im Städtchen so aus:

Longyearbyen by day – in der Polarnacht.

Ich hatte es schon erwähnt: ich lese gerade alte Berichte von Expeditionen ins Polarmeer. Heute habe ich mit jenem von William Scoresby begonnen: «The Arctic Regions and the Northern Whale-Fishery» von 1820. Scoresby (1789-1857) war wie sein Vater Walfänger in arktischen Gewässern, aber auch Wissenschaftler und später Pfarrer. Er kannte das Meer um Grönland und Spitzbergen vielleicht wie kein Zweiter zu dieser Zeit.

Im Sommer gebe Spitzbergen mit seinen schneebedeckten Gipfeln «ein ausserordentliches und wunderschönes Bild» ab, schrieb Scoresby, aber

Abbildung aus «The Arctic Regions and the Northern Whale-Fishery»

«… im Winter ist es dort desolat; im nördlichen Teil des Archipels bleibt die Sonne zwischen dem 22. Oktober und etwa dem 22. Februar fortwährend unter dem Horizont. Diese grosse Winternacht – obwohl wahrhaftig düster – ist jedoch keinesfalls so dunkel, wie man erwarten könnte – dank Gott, der die Segnungen seiner Fürsorge durch gescheite und gnädige Vorkehrungen so verteilt hat, dass sie eine gewisse Gerechtigkeit erreichen. Die Sonne […] erzeugt für einige Stunden am Tag eine schwache Dämmerung, obwohl sie unter dem Horizont bleibt. Dazu kommt das Polarlicht, das manchmal so hell ist, wie eine Feuersbrunst.»

Scoresby kannte sich offensichtlich auch mit dem Meereis sehr gut aus. In seinem Bericht beschreibt er ganze 18 verschiedene Arten – und er erklärt genau, wie frisches Eis auf dem Meer entsteht: Anfangs sehe das so aus, wie wenn man Schnee in so kaltes Wasser werfe, dass die Eiskristalle nicht schmelzen. Es entstehe eine milchige Masse, von den Seeleuten «sludge» genannt (Matsch). Später vereinigten sich diese losen Kristalle durch die Wasserbewegung zu immer grösseren Einheiten, bis schliesslich eine zusammenhängende Eisschicht entstehe.

Ob wir diesen Prozess auf der kommenden Fahrt beobachten können, sei allerdings fraglich, hat mir Rolf Gradinger heute gesagt. Der Leiter der Forschungsfahrt ist ebenfalls heute in Longyearbyen angekommen. Obwohl wir laut Plan bis auf über 80° N fahren, bis ans nördliche Ende von Spitzbergen, könnte das Wasser überall zu warm sein fürs Meereis – Mitte November! Noch vor einigen Jahrzehnten war im Winter der ganze Archipel vom Eis eingeschlossen – auch auf der Westseite, wo die letzten Ausläufer des Golfstroms durchfliessen und warmes Wasser vom Süden her bringen.

CIA map

Was wir während dieser Fahrt leider auch nicht sehen, respektive ausprobieren können, ist ein Experiment, das William Scoresby in seinem Buch beschreibt: aus Eis von Eisbergen (also Eis aus einem Gletscher, das abgebrochen ist und ins Meer gefallen ist), könne man eine Linse formen. Zuerst mit dem Messer grob die runde Form «schnitzen», und danach mit den Fingern die gebogenen Hälften auf beiden Seiten formen und polieren. Bündle man mit dieser Eislinse das Sonnenlicht auf den Kopf einer Pfeife, versichert Scoresby, könne man den Tabak entzünden. Dieses Kunststück habe er immer wieder staunenden Seeleuten vorgeführt.